Stellungnahme der DGINA zum Gesetzesentwurf zur Notfallreform
Die DGINA wurde als Fachverband zur heutigen Anhörung des Gesundheitsausschusses eingeladen. Im Vorfeld wurde folgende Stellungnahme abgegeben:
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin - DGINA e.V. zum
Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung (NotfallG)
Einleitung Präambel
Die DGINA begrüßt die gesetzliche Regelung der Notfallversorgung und bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme.
Die DGINA hatte bereits zum Referentenentwurf dieses Gesetzes umfänglich Stellung bezogen. In der jetzt vorliegenden Formulierung des Gesetzes und aufgrund der im Änderungsantrag 1 eingebrachten „Regelungen zum Rettungsdienst“ sollten nach Ansicht der DGINA die nachfolgenden Punkte angepasst werden und Berücksichtigung finden.
1. Position zu Integrierten Notfallzentren (INZ)
Grundsätzlich ist die Einrichtung von Integrierten Notfallzentren zu begrüßen. Allerdings wurden wesentliche Bestandteile der 4. Stellungnahme der Regierungskommission zur Notfallversorgung, u.a. eine flächendeckende Einrichtung von INZ an allen Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung und eine 24/7 Öffnung der Notdienstpraxen an Standorten der umfassenden Notfallversorgung, nicht in das Notfallgesetz aufgenommen. In der vorliegenden Fassung des Gesetzes steht zu befürchten, dass die ca. 550 bestehenden Notdienstpraxen in INZ umbenannt werden, darüber hinaus aber keine großen Änderungen zum Status quo zu erwarten sind. Um dies zu vermeiden, sind folgende Änderungen des Entwurfs erforderlich:
1.1 Standortplanung der INZ
- Um eine flächendeckende Abdeckung von INZ zu erreichen, sind konkrete Planungszahlen erforderlich. Neben der in §123a aufgeführten Erreichbarkeit von 30 Minuten ist insbesondere in Ballungsgebieten ein Bevölkerungsbezug erforderlich, der mindestens ein INZ pro 250.000 Einwohnern vorsehen muss. Die Planungsregionen sind dabei länderübergreifend festzulegen.
- Die Standortfestlegung der INZ wird erhebliche Auswirkungen auf die Patientenströme haben und somit auch Einfluss auf die stationären Behandlungskapazitäten der Kliniken. Daher sollte die Planung der INZ Standorte den Krankenhausplanungsbehörden der Länder und nicht einem erweiterten Landesausschuss zugeordnet werden.
1.2 Kriterien zur Auswahl von INZ
- In §123a wurden Kriterien zur Auswahl von Notfallzentren festgelegt, wenn mehrere Standorte gleichermaßen geeignet sind. Im Kabinettsentwurf wurde neu eingefügt, dass Standorte mit einer bestehenden Notdienstpraxis grundsätzlich zu bevorzugen sind. Dies ist steht der ursprünglichen Intention der Auswahl der Standorte entgegen und sollte gestrichen werden.
1.3 Einrichtung der INZ und Finanzierung
- Da es auch im Notfall zu einer gewollten Konzentration der Patientenströme in die INZ und verbleibenden Notfallkliniken kommen wird, ist von einer Zunahme der mittleren Patientenströme pro Standort auszugehen. Neben den gestiegenen personellen Anforderungen werden vor allem auch bauliche Anpassungen an diesen Standorten notwendig sein, die im Rahmen des Transformationsfonds des KHVVG finanziert werden müssen.
Patientinnen und Patienten, die sich in einem INZ nach Zuweisung durch das Gesundheitsleitsystem vorstellen, sollten im INZ (prä-)stationär behandelt und abgerechnet werden können. Dies schließt auch Patientinnen und Patienten ein, die über den Rettungsdienst in eine Notaufnahme eingewiesen werden. - Des Weiteren fordert die DGINA einen gesetzlichen Auftrag zur Anpassung einer auskömmlichen Finanzierung per EBM aller übrigen ambulanten Notfallpatienten in Notaufnahmen.
1.4 Ersteinschätzung im INZ
- Die zentrale Ersteinschätzungsstelle in einem INZ soll eine Entscheidung über die Behandlungsdringlichkeit und die geeignete Versorgungsebene treffen.
Der G-BA soll laut §123 (3) beauftragt werden, das verwendete Ersteinschätzungssystem festzulegen. Der G-BA wurde hierfür bereits einmal beauftragt und hatte eine Ersteinschätzungs-Richtlinie vorgelegt, der jegliche wissenschaftliche Evidenz fehlte und die potenziell zu Patientengefährdungen geführt hätte, wenn das BMG diese nicht beanstandet hätte. Die DGINA lehnt daher eine erneute Beauftragung des G-BA hierzu ab und fordert, die Rahmenbedingungen und Qualitätskriterien per Rechtsverordnung unter Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise festzulegen. Da es eine kontinuierliche Weiterentwicklung dieser Instrumente gemäß der Anpassung an den aktuellen wissenschaftlichen Stand geben wird, empfiehlt die DGINA lediglich die Rahmenbedingungen und Qualitätskriterien des Ersteinschätzungsinstruments, nicht aber ein konkretes Instrument zu benennen. Dies obliegt der Rechtsverantwortung der steuernden Klinik und dem leitenden Arzt des jeweiligen INZ.
1.5 Notfallversorgung an Kliniken ohne INZ
- Viele Notfallkrankenhäuser, selbst mit umfassender Notfallversorgung, werden nach dem aktuellen Gesetzentwurf auch weiterhin kein INZ erhalten. Patientinnen und Patienten, die sich selbst als Notfall einschätzen und sich selbstständig an ein Krankenhaus ohne INZ wenden, müssen auch dort wie bisher in der Notaufnahme vor Ort ersteingeschätzt, behandelt und die Leistungen entsprechend abgerechnet werden können.
2. Position zum Gesundheitsleitsystem
Die Einrichtung eines Gesundheitsleitsystems durch Kooperation von Rettungsleitstellen und Kassenärztlichen Vereinigungen wird auch weiterhin explizit begrüßt. Nachdem keine großen Auswirkungen des Notfallgesetzes auf die Verfügbarkeit von Vertragsärzten in INZ zu erwarten sind, ist die konkrete Steuerung von Patientinnen und Patienten bereits vor dem INZ in unterschiedliche Versorgungangebote umso wichtiger, um überhaupt einen Effekt der Reform zu erreichen. Hierzu sind folgende Änderungen erforderlich:
2.1 Kontakt zum Gesundheitsleitsystem
- Der Kontakt zu dem Gesundheitsleitsystem sollte nicht nur eine Empfehlung darstellen, sondern primär für die Bevölkerung verpflichtend sein. Vulnerable Patientengruppen oder Menschen mit Sprachbarriere, sind in der Ausgestaltung des Gesundheitsleitsystems gezielt zu berücksichtigen.
- Der primäre Kontakt zum Gesundheitsleitsystem muss für die Hilfesuchenden einen Mehrwert gegenüber dem Status quo darstellen. Nicht nur die Wartezeiten für den Kontakt zum Gesundheitsleitsystem müssen so kurz wie möglich sein, sondern telemedizinische Angebote und ortsnahe Akuttermine in Vertragsarztpraxen müssen zeitnah angeboten werden. Auch der verpflichtend 24/7 angebotene aufsuchende Dienst, möglicherweise in Delegation an Pflege oder Notfallsanitäter, ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig.
- Ziel einer guten notfallmedizinischen Versorgung ist es, die Lösung des akuten Problems möglichst beim ersten Kontakt mit dem Gesundheitswesen zu erreichen. Dies erfordert für den außerklinischen Bereich neben der bereits im Gesetz vorgeschlagenen dauerhaften zeitlichen Erreichbarkeit des Gesundheitsleitsystems auch strukturelle und personelle Mindestvorgaben einschließlich Vorgaben zur Erreichbarkeit für aufsuchenden ärztlichen Dienste einschließlich ambulanter Palliativversorgung und der nichtärztlichen Dienste sowie der telemedizinischen Angebote der notdienstlichen Akutversorgung.
3. Position zum Notfallregister:
Die Effekte der Notfallreform und auch des KHVVG können nur bewertet werden, wenn die Patientenwege im Notfall über die Sektoren hinweg nachvollziehbar und auswertbar sind.
Hierfür müssen die Kontakte eines Notfallpatienten mit der 116 117 der KV, der Notfallrettung, den INZ, den Vertragsärzten und den Krankenhäusern je 4 Wochen vor und nach einem Notfallkontakt erhoben werden. Dies inkludiert die strukturierte Erhebung der Dringlichkeit und der Empfehlung zur Versorgungsebene.
Diese Daten sind im Sinne eines Notfallregisters durch KV, Rettungsdienst und Krankenhäuser an eine Vertrauensstelle am BMG zu übermitteln, welche die Daten personengebunden zusammenführt und anschließend anonymisiert. Das BMG kann zur weiteren Auswertung der anonymisierten Daten ein Institut beauftragen, welches auf Antrag Datenauswertungen durch Landes- und Bundesministerien, dem ZI der KV, dem GKV-SV und Universitäten zur Versorgungsforschung ermöglicht.
4. Position zur außerklinischen Versorgung:
Eine mit den geplanten Veränderungen der übrigen Notfallstrukturen kongruente Reform des Rettungsdienstes ist aus Sicht der DGINA ein dringend erforderlicher Schritt und für den Erfolg der geplanten Maßnahmen integral. Die angedachte Ausdifferenzierung der Leistungen der “medizinischen Notfallrettung” im SGB V mit den Bestandteilen “Notfallmanagement”, “notfallmedizinische Versorgung” und “Notfalltransport”, sowie die Schaffung eines “Qualitätsausschusses Notfallrettung” sichern einheitliche Mindeststandards für die Planung und Durchführung eines verlässlichen, bundesweit vergleichbaren Versorgungsniveaus. Dabei gilt es folgende Punkte nochmals explizit zu beachten:
- Bei Einsatz von qualifiziertem nichtärztlichem Personal im aufsuchenden Dienst der notdienstlichen Akutversorgung muss zum einen deren Qualifizierung und die Finanzierung einheitlich geregelt werden, sowie weiterhin sichergestellt sein, dass streng ärztliche Tätigkeiten (Leichenschau, Psych-KG, o.ä) im Rahmen des Sicherstellungsauftrages 24/7 zu leisten sind. Dies sollten daher explizit im Gesetz Erwähnung finden.
- Die Möglichkeit zur Ausstellung von eRezepten, sowie die im Änderungsantrag vorgesehene Verordnung von Transportleistungen durch das Gesundheitsleitsystem und die Komponenten der Akutversorgung (notdienstliche Akutversorgung und Akutversorgung in der med. Notfallrettung) sind unbedingt zu ermöglichen.
- Die notfallmedizinische Versorgung nach §30 Absatz 2 Nr. 2 sollte explizit Komponenten zur psychosozialen Notfallversorgung und „Akutmedizin in der medizinischen Notfallrettung“ als originäre Leistungen der medizinischen Notfallrettung beinhalten.
- Die im Änderungsantrag vorgesehene einheitliche medizinische Dokumentation in der Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsleitsystem, medizinischer Notfallrettung und dringlicher Akutversorgung ist zu begrüßen.
- Die medizinische Notfallrettung sollte gesetzlich unter die Verantwortung von „Medizinischen Leitungen Rettungsdienst“ mit verbindlichen personellen, strukturellen und fachlichen Anforderungen gestellt werden.
Information
- Veröffentlicht: 06. November 2024