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Stellungnahme des DGINA Boards Präklinik: SWR-Dokumentation und Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Udo Di Fabio

19. Juli 2024

Stellungnahme des DGINA Boards Präklinik der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin - DGINA e.V. zur

SWR-Dokumentation „Notfall Rettung“ und zum Rechtsgutachten von Univ.-Prof. Dr. Udo Di Fabio "Verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Neuordnung der deutschen Notfallrettung"

 Die Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) steht als wissenschaftliche Fachgesellschaft für höchste Qualität in der Notfallmedizin. Die jüngst ausgestrahlte SWR-Dokumentation „Notfall Rettung“ (17.07.2024) sowie das aktuelle Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Udo Di Fabio zu verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Neuordnung der deutschen Notfallrettung setzen hier ein wichtiges Zeichen. Sie beleuchten eindrucksvoll die erheblichen regionalen Unterschiede in der präklinischen Notfallversorgung in Deutschland, sowohl in der Notfallbehandlung als auch in den vorherrschenden Strukturen und unterstreichen damit den dringenden Handlungsbedarf.

Historisch gewachsene Heterogenität

Die Heterogenität des deutschen Rettungsdienstes ist historisch gewachsen. Diese Vielfalt hat in den vergangenen Jahrzehnten zum stetigen Wachstum erheblicher Unterschiede geführt, aber auch zur vereinzelten Entstehung von „Leuchttürmen“ der präklinischen Notfallmedizin (bspw. Strukturqualität im Berliner Notarztdienst, Netzwerk 112 im Land Brandenburg, Telenotarztdienst in Aachen, Gemeindenotfallsanitäter in Oldenburg, umfassender Zusammenschluss von Rettungsdienstbereichen wie bei der RKiSH und viele weitere), die teils trotz erheblicher Hindernisse bei Behörden, Kostenträgern und mitunter Politik herausragende Ergebnisse erzielt haben. Viele engagierte Kolleginnen und Kollegen, darunter auch DGINA-Mitglieder, haben in diesem Umfeld bemerkenswerte Leistungen erbracht. Das Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Udo Di Fabio betont ebenfalls diese unterschiedlichen Kompetenzzuordnungen zwischen Bund und Ländern und die daraus resultierende Heterogenität der Organisation des Rettungsdienstes, die durch unterschiedliche Hilfsfristen und Trägermodelle geprägt ist.

Notwendigkeit eines bundesweiten Notfallregisters

Die DGINA fordert dringend die Einrichtung eines bundesweiten Notfallregisters. Dieses sollte pseudonymisierte Notfalldaten aus dem Gesundheitsleitsystem (Akutleitstelle und Rettungsleitstelle), Integrierten Notfallzentren (Notdienstpraxen, Kooperationspraxen und Notaufnahmen der Krankenhäuser mit ambulanten und stationären Fällen) sowie Notaufnahmen ohne INZ anhand einer Fall-ID miteinander verknüpfen, um flächendeckend valide Daten zu erheben und die Qualität der Notfallversorgung kontinuierlich zu verbessern. Das Gutachten hebt ebenfalls die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates hervor und die Notwendigkeit eines funktionierenden Rettungssystems, das gleiche Leistungen für alle Bürger gewährleistet. Nur wer dies misst, kann auch entsprechend steuern.

Interoperabilität und IT-Lösungen im Rettungsdienst

Die IT-Lösungen im Rettungsdienst – von Leitstellensystemen über Einsatzdokumentation bis hin zur Ersthelfer-Alarmierung – wurden dem Markt überlassen. Dies hat zu einer schlechten bis unmöglichen Interoperabilität geführt. Bei Ersthelfer-Apps kann dies Menschenleben kosten, bei Leitstellen- und Einsatzdokumentation verhindert es die sinnvolle Entwicklung von Entscheidungsgrundlagen sowie dringend benötigte Schnittstellen. 

Die DGINA fordert hier bundeseinheitliche, mit den zuständigen Fachverbänden abgestimmte, Vorgaben. Diese sollten insbesondere auch die Einbindung aller Komponenten der Notfallversorgung in die elektronische Patientenakte ermöglichen.  Das Gutachten kritisiert ebenso die fragmentierte Struktur der Rettungsdienste und die unterschiedlichen IT-Lösungen, die eine effiziente und einheitliche Notfallversorgung behindern.

Medizinische Leitung Rettungsdienst

Der Rettungsdienst ist Teil eines komplexen medizinischen Systems mit zahlreichen Schnittstellen und Einflüssen Dritter, wie bspw. Kliniken, Behörden und Hilfsorganisationen. Die ärztliche Leitung des Rettungsdienstes vor Ort ist oft nur in Form einer Teilzeitstelle und häufig lediglich beratend tätig. Um die geforderte Qualität zu erreichen und zu sichern, müssen ärztliche Leitungen deutschlandweit zu einer personell und strukturell umfassend ausgestatteten „Medizinischen Leitung Rettungsdienst“ erweitert werden. Dies beinhaltet u.a. einen multiprofessionellen Stab, sowie dezidierte Weisungsbefugnisse. 

Dringlichkeit einer Rettungsdienstreform

Die Reform des Rettungsdienstes kann nicht mehr warten. Die DGINA hat in ihren Stellungnahmen zu den Eckpunkten der Regierungskommission sowie zum Notfallgesetz mehrfach darauf hingewiesen, dass zahlreiche Anpassungen im Rettungsdienst notwendig sind. Die SWR-Recherche hat nun öffentlich einen wichtigen Teilaspekt dieser Problematik beleuchtet. Das Gutachten betont die verfassungsrechtliche Notwendigkeit für eine Reform, sowie die Rolle des Bundes bei der Qualitätssicherung und Organisation der Notfallrettung. Zudem wird im Gutachten die aus Praxissicht hautnah zu beobachtende Systemkrise aufgrund der steigenden Inanspruchnahme des Rettungsdienstes beschrieben, die die Effizienz und Qualität der Notfallversorgung beeinträchtigt.

Forderung nach bundeseinheitlichen Qualitätsstandards

Im Zentrum der Reformforderungen stehen bundeseinheitliche Qualitätsstandards in allen Aspekten der prähospitalen Notfallversorgung, einschließlich Leitstellen (mit standardisierter Notrufabfrage), kassenärztlichen Vereinigungen, Rettungsdiensten, psychosozialen Versorgungen und mehr. Diese Standards müssen wissenschaftlich fundiert sein und durch angepasste Strukturen verbindlich umgesetzt und kontrolliert werden. Die Umsetzung dieser Standards erfordert neben der Etablierung von „Medizinischen Leitungen Rettungsdienst“, die Zusammenfassung von Rettungsdienstbereichen in sinnvolle Größen analog zu den Leitstellenbereichen, verbindliche Finanzierungsgrundlagen insbesondere mit gesicherten Investitionskosten, sowie Einrichtungen für die landesweite und bundesweite Qualitätssicherung. Das Gutachten betont diesbezüglich die Garantenstellung des Bundes für eine gleichheitsgerechte und effektive Notfallrettung, um die Überlebenschancen aller Patienten zu wahren und sicherzustellen. Dies ist demnach nur mit bundesweit einheitlichen geregelten Mindeststandards für die Notfallversorgung möglich.

Schlussfolgerung

Eine Zuständigkeit der Länder zur Optimierung der Strukturen in Bezug auf regionale Besonderheiten ist sinnvoll und nachvollziehbar. Die aktuelle Heterogenität zeigt jedoch, dass dies unter bundeseinheitliche Standards gestellt werden muss, damit Qualität und Fortschritt nicht nur auf dem Engagement und Durchhaltevermögen einzelner beruhen. 

 

Diese Standards sollten auch differenzierte Kompetenz- und Qualitätsniveaus in der Versorgung beinhalten, die je nach regionaler Ausgestaltung durch verschiedene Berufsgruppen und Einsatzmittel erbracht werden können. Es ist schlussendlich „nicht entscheidend, wer es macht, sondern wie es gemacht wird und mit welchem Ergebnis”. Dies muss verbindlich geregelt und kontrolliert werden.

Weitere Informationen sind in den bereits veröffentlichten Statements der DGINA zum Thema Rettungsdienst zu finden.

Univ.-Prof. Dr. iur. Dr. sc. pol. Udo Di Fabio, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Bonn, im Juni 2024
"Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Neuordnung der deutschen Notfallrettung, Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Björn Steiger Stiftung, Juni 2024

SWR Dokumentation "Notfall-Rettung" (Link), 17.07.2024

Interaktive Website SWR: Notfallrettung regional

Information

  • Veröffentlicht: 19. Juli 2024

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