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Kommentar zur 4. Empfehlung der Regierungskommission BMG

  • 15. Februar 2023

Kommentar der DGINA
zur Vierten Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission“ zur Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland vom 13.02.2023

Die DGINA begrüßt den Bericht der Regierungskommission zur Notfallversorgung und ist wie auch die Regierungskommission der Überzeugung, dass eine Reform nur dann erfolgreich sein kann, wenn die verschiedenen Bereiche der Notfallversorgung gemeinsam gedacht werden.
Hierzu gehört auch, dass die bisher gesetzlich festgeschriebene, aber medizinisch und ökonomisch wenig sinnvolle Trennung in eine ambulante und eine stationäre Notfallversorgung mit unterschiedlichen Zuständigkeiten und Vergütungsmodellen überwunden wird.

Für eine Neukonzeption sind folgende Komponenten unabdingbar:

1.   Integrierte Leitstelle

Das System der Notfallversorgung in Deutschland ist für Patient*innen oftmals unübersichtlich und kompliziert. Patient*innen mit akuten medizinischen Problemen benötigen aber gerade in Notfallsituationen einen klaren, einfachen Handlungspfad, an den sie sich 24/7 halten können. Insofern empfiehlt die DGINA analog zur Regierungskommission, dass der erste medizinische Kontakt der Patient*innen immer telefonisch über die Integrierte Leitstelle stattzufinden hat. Die DGINA begrüßt daher ausdrücklich die Überlegungen der Regierungskommission zur Stärkung von Integrierten Leitstellen (ILS) als attraktive Servicezentren für die Bevölkerung in Akutfällen, die von ihrer Erreichbarkeit und den Leistungen deutlich ausgebaut werden sollen. Deren Konsultation muss konkrete medizinische Hilfe sowie Termine in vertragsärztlichen Praxen vermitteln können, um für Patient*innen einen echten Mehrwert darzustellen. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung mit einer stetig älter werdenden Bevölkerung, ist es ausgesprochen wichtig den Blick auf vulnerable Patientengruppe zu richten. Somit ist auch die Möglichkeit zur akuten Disposition fahrender Dienste für ärztliche Hausbesuche, pflegerische Versorgung, palliativmedizinische Versorgung und psychosoziale Dienste über die 116117 dringend erforderlich. Eine Weitervermittlung von Hochrisikopatient*innen an (Integrierte) Notfallzentren und an die 112 im Sinne einer Integrierten Leitstelle muss jederzeit erfolgen können. Die Formulierung der Regierungskommission, dass alle Hilfesuchenden initial durch die Integrierte Leitstelle, in die am besten für sie geeignete Notfallstruktur einschließlich der Integrierten Notfallzentren zugewiesen werden, legt eine Verpflichtung hierzu nahe, die aus Sicht der DGINA zu begrüßen ist und gesetzlich verankert werden muss. Die Disposition in die unterschiedlichen Versorgungsebenen und Versorgungsangebote muss durch validierte Ersteinschätzungssysteme erfolgen.
Der flächendeckende Betrieb der Integrierten Leitstellen mit den dazugehörenden konkreten Terminvermittlungen in den vertragsärztlichen Bereich, der telemedizinischen Konsultation und den fahrenden Diensten wird durch die KV betrieben. Durch diesen für die KV deutlich umfassenderen Auftrag wird nach Ansicht der DGINA der Sicherstellungsauftrag der KV gemäß §75 SGB V in Bezug auf den Notdienst erfüllt. 

2.   Integrierte Notfallzentren

Die Regierungskommission fordert den Aufbau und Betrieb von Integrierten Notfallzentren (INZ), bestehend aus der Notaufnahme, einer KV-Notdienstpraxis und einem Tresen als Anlaufstelle. Aufgrund der außerhalb des INZ stattfindenden verpflichtenden Steuerung über die integrierte Leitstelle wird eine zusätzliche Steuerung am Tresen der INZ gemäß §120 Absatz 3b SGB V in eine weitere Versorgungsebene überflüssig. Zudem erfüllt die KV den Sicherstellungsauftrag grundsätzlich mit dem Betrieb der Integrierten Leitstelle und den zugeordneten ärztlichen und pflegerischen Diensten. Aus Sicht der DGINA kann sich die KV an dem Betrieb der Integrierten Notfallzentren beteiligen, entweder durch den Betrieb von Notdienstpraxen oder durch die Integration von Vertragsärzten in den Niedrigrisiko-Sektor des Notfallzentrums.
Aus Sicht der DGINA sollten in den Notfallzentren der Kliniken nur noch Patient*innen behandelt werden, die zuvor durch einen medizinischen Kontakt dorthin weitergeleitet wurden. Dies kann durch den verpflichtenden Kontakt mit der Integrierten Leitstelle, durch vertragsärztliche Einweisung oder durch die Rettungsdienste sein, eine ungesteuerte Inanspruchnahme findet hierdurch nicht mehr statt. Hieraus resultiert ein gesetzlich zu definierender Behandlungsauftrag der Notfallzentren für die Notfallversorgung. Dieser gesetzliche Behandlungsauftrag existiert auch an den Häusern der Basisversorgung ohne INZ, sofern die Patient*innen über die Integrierte Leitstelle an ein solches disponiert wurden und das Haus den vorgeschriebenen GBA Kriterien entspricht. Patient*innen, die sich ohne vorherigen medizinischen Kontakt an eine Notaufnahme wenden, erhalten eine Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit. Es wäre denkbar, dass Patient*innen mit niedriger Dringlichkeit auch in der Notaufnahme telefonisch mit der ILS Kontakt aufnehmen müssen, evtl. wäre auch eine längere Wartezeit, sofern medizinisch vertretbar, und eine Abrechnung dieser Notfälle mit der EBM Notfallpauschale denkbar, damit kein Fehlanreiz für die Kliniken besteht, Notfall- Patient*innen ohne Zuweisung durch die Leitstelle zu behandeln. 

3.   Personal

Die DGINA begrüßt ausdrücklich, dass der qualitative und quantitative Personalmangel in den Notaufnahmen von der Regierungskommission wahrgenommen wird und konkrete Maßnahmen durch die Regierungskommission empfohlen werden. Besonders positiv hervorzuheben sind die seit geraumer Zeit von der DGINA geforderten Regelungen zu

  • Pflegepersonalmindestbesetzung,
  • Personal-Patienten-Schlüssel,
  • eine Einführung des Facharztes für Notfallmedizin und
  • eine Spezialisierung der Pflegeberufe für Notfallmedizin.

Bei Nicht-Einhaltung von verbindlichen Personal- Patient*innen Schlüsseln bei Personalausfällen muss eine Konkretisierung der zu ergreifenden Maßnahmen in der Notfallklinik erfolgen, da ansonsten die Gefahr einer fortwährenden Unterschreitung besteht, um der gesetzlichen Pflicht zur Notfallversorgung nachkommen zu können. Eine Möglichkeit wäre eine Rückzahlung von Vorhaltekosten in ein gemeinsames Budget.
Trotz der geforderten weiteren Professionalisierung der Notfallmedizin schlägt die Regierungskommission jedoch vor, dass die Leitung von INZ entweder durch die KV oder das Krankenhaus wahrgenommen werden soll. Aus Sicht der DGINA ist dies nicht akzeptabel, da nur die Notaufnahme-Leitungen eine ausreichende Qualifikation hierzu aufweisen.

4.   Finanzierung

Die DGINA weist seit langem darauf hin, dass eine ausreichende Vergütung komplexer ambulant verbleibender Patient*innen gegeben sein muss. Wenn in Notfallzentren durch bedarfsgerechte Diagnostik und Therapie mit leistungsgerechter Finanzierung entschieden werden kann, ob jemand tatsächlich stationär behandlungsbedürftig ist, könnten die Krankenhausaufnahmen reduziert und Patient*innen zielgerichtet dem ambulanten Sektor zugeführt werden. Erfreulicherweise greift die Regierungskommission dies auf und schlägt eine Finanzierung durch Vorhaltekosten in Höhe von 60% gemäß der dritten Stellungnahme der Regierungskommission sowie gestuften Fallpauschalen vor. Die in der zweiten Stellungnahme der Regierungskommission angegebene Größenordnung von ca. 400€ für komplexere Fälle wäre aus Sicht der DGINA als adäquat anzusehen.
Die Aufgaben der Notfallzentren sind sektorenübergreifend. Aus Sicht der DGINA ist eine grundlegende Änderung der Finanzierung daher dringend erforderlich und die in der Variante 2 vorgeschlagene Reform mit einem gemeinsamen Finanzierungstopf aus Geldern, die bisher KV und Krankenhaus zur Verfügung stehen, sollte weiterverfolgt und präzisiert werden. Die DGINA schlägt hierzu vor, dass die gestufte fallbasierte Vergütung unabhängig von der Art der Zuweisung und dem weiteren Verbleib ausgezahlt und bei stationärer Aufnahme die DRG um den Betrag dieser Vergütung reduziert wird.
Die in der dritten Stellungnahme der Regierungskommission zur Krankenhausfinanzierung empfohlenen Leistungsgruppen umfassen eine gesonderte Leistungsgruppe zur Notfallversorgung mit hohem Vorhalteanteil, welche beispielsweise in den Leistungsgruppen im Krankenhausplan NRW nicht abgebildet ist. Für die Umsetzung der aktuellen Vorschläge der Regierungskommission ist es erforderlich, diese Leistungsgruppe Notfallversorgungbeizubehalten.  

5.   Digitalisierung und Qualitätssicherung

Eine Digitalisierung im Gesundheitswesen ist insbesondere für die Notfallversorgung wichtig. Von daher ist eine einfache digitale sektorenübergreifende Verfügbarkeit und Weitergabe medizinischer Daten anzustreben und die Einführung einer elektronischen Behandlungsakte wird begrüßt. Zudem ist es wichtig, dass die in den ILS erhobenen Daten den weiterbehandelnden Institutionen ohne Barriere zur Verfügung stehen und ein aktives KI unterstütztes Qualitätsmanagement dafür sorgt, dass die Patientensicherheit bestmöglich gewährleistet wird. Auch die Terminvermittlungen in INZ und im vertragsärztlichen Sektor müssen elektronisch zur Verfügung stehen.
Das Leistungsgeschehen in der Notfallversorgung ist derzeit nicht transparent und die durch die Regierungskommission eingeforderte Offenlegung der Leistungs- und Qualitätsdaten der ambulanten und stationären Akut- und Notfallversorgung ist sehr zu begrüßen. In diesem Zusammenhang erachtet die DGINA die Einführung eines „Fachabteilungsschlüssels Notfallmedizin“ für unabdingbar.
Dieser würde es auf Landes- und auf Bundesebene transparent machen, wie viele Patient*innen pro Jahr über die Notfallkliniken versorgt bzw. aufgenommen werden und ermöglicht so eine Zuordnung der erbrachten Leistungen und der Ressourcen. Weiterhin wurde die Einführung eines GKV-Routinedaten-Monitorings empfohlen und es ist zu prüfen, ob sich auch das ambulante Versorgungsgeschehen mit diesen und ggf. weiteren Instrumenten analysieren lässt. Nur mit den entsprechenden Daten lässt sich zukünftig das Ergebnis der Reformen auf der Ebene der Notfallversorgung analysieren.

Die DGINA ist der Überzeugung, dass die Umsetzung der o.a. Punkte gemeinsam mit einer noch ausstehenden Empfehlung zur Reform des Rettungsdienstes medizinisch und auch ökonomisch sinnvoll ist. Die Aufgabenverteilung der Sektoren in der Notfallversorgung wird neu geordnet und die bestehenden Schwierigkeiten der sektorengetrennten Notfallversorgung werden überwunden.
All dies sorgt für eine besseren Versorgung der Notfallpatientinnen und -patienten.

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  • Veröffentlicht: 15. Februar 2023

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