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Stellungnahme der DGINA zum Referentenentwurf Reform der Notfallversorgung (NotfallG)

25. Juni 2024

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin - DGINA e.V. zum

 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung (NotfallG)

 Einleitung / Präambel

Die DGINA begrüßt den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Notfallgesetz, mit dem die Notfallversorgung neu geordnet werden soll. Insbesondere wird die Konkretisierung des Sicherstellungsauftrages der KV mit der Einrichtung von Akutleitstellen, konkreter Vermittlung zeitnaher Termine in die vertragsärztliche Versorgung, Einrichtung bzw. Aufrechterhaltung des aufsuchenden Dienstes und Teilnahme an Integrierten Notfallzentren für sinnvoll erachtet.

Bessere Patientensteuerung durch Akutleitstellen

  • Die geplante Einrichtung von Akutleitstellenzur frühzeitigen Leitung von Personen, die von einer sofortigen ambulanten Behandlungsnotwendigkeit ausgehen, in die am besten geeignete Versorgungsstruktur, ist ein wesentlicher Schritt zu einem besseren Angebot für Patientinnen und Patienten und wird durch die DGINA befürwortet. Die bundesweit einheitliche Rufnummer 116117 der Kassenärztlichen Vereinigungen wird hierzu in Akutleitstellen und Terminservicestellen aufgeteilt.  Viele dieser Patientinnen und Patienten haben bisher mangels Alternativen in der vertragsärztlichen Versorgung die Notaufnahmen der Krankenhäuser aufgesucht.
  • Die Festlegung von Fristen zur Erreichbarkeit soll dazu führen, dass Patientinnen und Patienten den Versuch der Kontaktaufnahme zur Akutleitstelle nicht vorzeitig abbrechen und wegen Erfolglosigkeit in der Konsequenz die Notrufnummer 112 wählen bzw. die Notaufnahmen direkt in Anspruch nehmen. Die DGINA unterstützt diese Regelung ausdrücklich.
  • Die im NotfallG vorgesehene konkrete Vermittlung von vertragsärztlichen Akuttermineneinschließlich telemedizinischer Beratung über die Akutleitstelle ist zielführend und wird seitens der DGINA positiv bewertet.
  • Aus Sicht der DGINA sollte der Kontakt zu dem beschriebenen Gesundheitsleitsystem, bestehend aus Akutleitstelle und Rettungsleitstelle, verpflichtend
  • Die Verpflichtung zur Kooperationder Akutleitstellen mit den rettungsdienstlichen Leitstellen (112), die eine standardisierte Notrufabfrage durchführen, ist zu begrüßen. Die Kooperation, wie auch die Verwendung einer standardisierten Notrufabfrage sollte für die Rettungsleitstellen verpflichtend sein.
  • Die 24/7-Verfügbarkeit von aufsuchenden Diensten für solche Patientinnen und Patienten, die nicht eigenständig die vertragsärztliche Versorgung aufsuchen können, ist ein wesentlicher Baustein für eine erfolgreiche Reform der Notfallversorgung und trägt dem demographischen Wandel und stetig älter werdenden Patientinnen und Patienten Rechnung. Die DGINA begrüßt dies.
  • Die Möglichkeit der Einbindung von nicht-ärztlichem Personal, zum Beispiel in Kooperation mit dem Rettungsdienst, dient der effizienten Ressourcenallokation. Dies kann auch gemeinsam mit primär rettungsdienstlich zu entwickelnden Modellen wie Gemeindenotfallsanitätern u.ä. zu neuen, innovativen Versorgungsstrukturen im Sinne der Regierungskommission beitragen.

Integrierte Notfallzentren / Kindernotfallzentren (INZ/KINZ)

Auswahl der Standorte

  • Eine flächendeckende Einrichtung von INZ und KINZ ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Einrichtung primär an Krankenhäusern der höheren Versorgungsstufen nach G-BA berücksichtigt, dass auch Patientinnen und Patienten, die nicht über den Rettungsdienst zugewiesen werden und in ein INZ kommen, schwer erkrankt sein können. Hier muss eine umfassende Versorgungsmöglichkeit vor Ort gegeben sein, sodass keine Sekundärverlegungen notwendig werden.
  • Die Einrichtung von INZ an Krankenhäusern der Basis- Notfallversorgungsstufe folgt dem Anspruch einer flächendecken Erreichbarkeit innerhalb von 30 Pkw-Minuten bzw. der Erreichbarkeit mittels ÖPNV. 
  • Jede/r Dritte sucht einmal pro Jahr eine Notaufnahme auf. Ein INZ sollte daher ein Einzugsgebiet von 250.000 Einwohnern nicht überschreiten, um die Einheiten nicht zu groß werden zu lassen. Die INZ-Standorte müssen die strukturellen und personellen Mindestvorgaben entsprechend den Empfehlungen der Fachgesellschaften einhalten.
  • Um eine transparente und frei von wirtschaftlichen Anreizen vorgenommene Auswahl der Krankenhäuser für INZ-Standorte zu ermöglichen, ist die Beauftragung eines erweiterten Landesausschusses unter Berücksichtigung von bundesweiten Auswahlkriterien grundsätzlich zu begrüßen. Es muss dabei gewährleistet werden, dass die Planungsregionen nach §123a länderübergreifend festgelegt werden.
  • Patientinnen und Patienten, die sich selbst als Notfall einschätzen und sich selbstständig an ein Krankenhaus ohne INZwenden, werden wie bisher in der Notaufnahme vor Ort behandelt. Die DGINA fordert, dass diese Leistungen entsprechend vergütet wird.

Struktur der INZ

  • Die beschriebene Struktur der INZ - bestehend aus Notaufnahme des Krankenhauses, Notdienstpraxis und Ersteinschätzungsstelle - und die Festlegung, dass die organisatorische und fachliche Zuständigkeit in der Verantwortung des Krankenhauses liegt, hat die DGINA immer wieder gefordert und wird von ihr ausdrücklich begrüßt.
  • Die DGINA fordert ausreichende Öffnungszeiten der Notdienstpraxen an INZ und flächendeckend einen personellen und organisatorischen Mindeststandard der Notdienstpraxen zur Patientenversorgung. Nur dann kann eine Notdienstpraxis im INZ zu einer Entlastung der Notaufnahme beitragen.
  • Es ist zu begrüßen, dass Mindest-Öffnungszeiten für die Notdienstpraxen in INZ bundeseinheitlich festgelegt werden, da dies zu mehr Transparenz und Akzeptanz in der Bevölkerung führt. Da es sich bei dieser Art der Vorhaltung um Daseinsvorsorge handelt, kann die Wirtschaftlichkeit einer Notdienstpraxis keine Argumentationsgrundlage sein, um Öffnungszeiten der Notdienstpraxen unter die vorgegebenen Mindestöffungszeiten zu reduzieren. Daher wird durch die DGINA eine Verkürzung der Öffnungszeiten aus Wirtschaftlichkeitsgründen grundsätzlich abgelehnt. Sofern jedoch zur empirisch belegten Bedarfsdeckung längere Öffnungszeiten benötigt werden, so sind diese im Einvernehmen zu etablieren. 
  • Die Festlegung von Mindestanforderungen an die sachliche und personelle Ausstattung der Notdienstpraxen durch den G-BA ist in diesem Zusammenhang positiv zu sehen. 
  • Die geplante digitale Vernetzung mit Fallübergabe innerhalb der INZ sowie mit der Akutleitstelle und den Kooperationspraxen ist zu begrüßen. Hierzu sollte von Seiten des Gesetzgebers ein Standard vorgegeben werden, der eine Interoperabilität der Daten ermöglicht, z.B. der DIVI-Notfalldokumentationsstandard.
  • Aufgrund der Einrichtung von INZ, der Konzentrierung von Patientenströmen auf weniger Klinikstandorte, der Einrichtung von Ersteinschätzungsstellen und der Vorhaltung digitaler Infrastruktur entstehen für die Kliniken strukturelle Herausforderungen. Die DGINA fordert daher eine auskömmliche Finanzierung der Maßnahmen, die die entsprechenden Kliniken ergreifen müssen, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

 Ersteinschätzung

  • Aus Sicht der notfallmedizinischen Fachgesellschaften liegt immer dann ein Notfall vor, wenn eine Person bzw. Angehörige dies so einschätzen. Die DGINA begrüßt daher ausdrücklich die Formulierung im Referentenentwurf, dass Hilfesuchende, die ein INZ selbstständig mit einem von ihnen als dringend erachteten gesundheitlichen Anliegen aufsuchen, nur im INZ einschließlich möglicher Kooperationspraxen behandelt werden sollen und damit der niedrigschwellige Notfallbegriff aufgenommen wurde.
  • Der Begriff „selbständig“ beinhaltet aus Sicht der DGINA, dass vorher kein Kontakt mit dem Gesundheitssystem stattgefunden hat. Patienten, die vom Rettungsdienst gebracht werden, oder die per Verweis durch die Akutleitstelle dem Krankenhaus zugewiesen werden, unterliegen damit im Krankenhaus nicht der Notwendigkeit einer erneuten Steuerung nach Versorgungsebene. Die DGINA fordert daher, dass die Zuweisung in die Notaufnahme analog einer vertragsärztlichen Einweisung behandelt und damit auch vorstationär abgerechnet werden kann.
  • Die DGINA hat den im GVWG 2021 eingeführten gesetzlichen Auftrag an den G-BA zur Erstellung einer Richtlinie zur Ersteinschätzung immer kritisiert, da derzeit kein Ersteinschätzungssystem geeignet ist, eine automatisierte Weiterleitung von Patienten in eine andere Versorgungsebene sicher zu gewährleisten. Daher begrüßt die DGINA, dass die vom BMG beanstandete Richtlinie des G-BA mit dem NotfallG hinfällig würde.
  • Die DGINA sieht den erneuten Auftrag an den G-BA zur Erstellung einer Richtlinie kritisch, insbesondere da erneut ein Ersteinschätzungssystem zur Weiterleitung in die Versorgungsebene definiert werden soll. Grundsätzlich fordert die DGINA, dass Patientinnen und Patienten niemals nur aufgrund des Ergebnisses eines nicht hinreichend evaluierten Ersteinschätzungstools verpflichtend außerhalb des INZ weitergeleitet werden. Falls eine Weiterleitungan eine Kooperationspraxis erfolgt, müssen die kooperierenden Praxen in unmittelbarer Nähe sein (z.B. MVZ) und eine feste Terminbuchung mit Termin innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Dies ist in den Auftrag an den G-BA gemäß §123 (3) aufzunehmen.
  • Die DGINA betont, dass die Vergütung der Ersteinschätzung,inklusive Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Ersteinschätzung, den Aufwand einschließlich der versuchten bzw. durchgeführten Terminbuchungen berücksichtigen muss.
  • Um eine hohe Qualität innerhalb der Ersteinschätzung und potenziellen Weiterleitung von Patientinnen und Patienten zu gewährleisten, sollten nach Überzeugung der DGINA Mindeststandards an die Qualifikation des durchführenden Personals festgelegt werden. Diese sind aus Sicht der DGINA: Pflegefachkräfte mit Weiterbildung Notfallpflege, oder Pflegefachkräfte mit dreijähriger Ausbildung und mindestens 2-jähriger Erfahrung in Vollzeit in der Notaufnahme, oder Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen mit zweijähriger Erfahrung in Vollzeit in der Notaufnahme.

Medikamente

  • Die zeitnahe 24/7-Versorgung von Notfallpatienten mit Medikamenten ist insbesondere in Flächenländern oft schwierig. Dies betrifft sowohl die Rezeptausstellung für GKV-Versicherte als auch die Einlösung der Rezepte in Apotheken. Dies betrifft in besonderem Maße hochbetagte oder immobile vulnerable Patientengruppen.
  • Entsprechend des Rahmenvertrages über ein Entlassmanagement beim Übergang in die Versorgung nach Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1a SGB V sollten nach Überzeugung der DGINA INZ grundsätzlich befähigt werden, Arzneimittel in Form einer Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen gemäß der Packungsgrößenverordnung sowie Verband-, Heil- und Hilfsmittel, SAPV und Krankenbeförderungsleistungen zu verordnen. Es sollte explizit in den tragenden Gründen aufgeführt werden, dass die unmittelbare Einbindung der Krankenhäuser in den Notdienst nach §123 Absatz 1 Satz 3 dies mit umfasst. Zudem muss die Mitgabe von Medikamenten durch die Notaufnahmen über das Wochenende möglich sein.
    Für Krankenhäuser ist dies bereits im Rahmen des Entlassmanagements für bestimmte ambulante Behandlungen in §14 Abs. 7 ApoG möglich. Die DGINA fordert, hier die ambulante Behandlung in der Notaufnahme mit aufzunehmen. 
  • Die Kooperation mit öffentlichen Apotheken am Standort des INZ wird begrüßt. Falls es zu keinem Abschluss einer Kooperationsvereinbarung kommt, wäre auch die Kooperation mit den Krankenhausapotheken eine Lösung.

Qualitätskontrolle

  • Um die Effektivität der Maßnahmen von Akutleitstelle und INZ zu beurteilen, ist, wie bereits von der Regierungskommission gefordert, ein bundesweites Register erforderlich, das die sektorenübergreifenden Patientenpfade abbilden kann. Die DGINA plädiert dafür, ein solches Register gesetzlich einzurichten und bietet hierfür ihre Unterstützung und Expertise an.

Rettungsdienst

Eine Notfallreform ohne eine Reform des Rettungsdienstes ist unvollständig. Die in der Stellungnahme der Regierungskommission zum Rettungsdienst vorgeschlagenen Maßnahmen sind im Referentenentwurf nicht enthalten, müssen aber zügig umgesetzt werden. Ohne Reform des Rettungsdienstes kann die Notfallreform nicht ihr ganzes Potential in Bezug auf Patientensteuerung, Entlastung der Notaufnahmen und Kosteneinsparungen erreichen. Darüber hinaus trägt dies auch zu einer bundesweiten Sicherstellung einer hohen Versorgungsqualität nach aktuellem Stand der Wissenschaft bei. Die DGINA fordert eine Aufnahme der folgenden Punkte in den aktuellen Entwurf des NotfallG:

  • Ausdifferenzierung der Leistungen im Rettungsdienst mit Anpassung an die sich verändernde Einsatz-Realität. Neufassung der Anspruchs- und Vergütungsregelungen im Rettungsdienst mit Anspruch der Versicherten auf eine umfassende Notfallbehandlung und auf Bearbeitung von Hilfeersuchen durch das Gesundheitsleitsystem mit fallabschließender telemedizinischer Beratung und Behandlung, auf Versorgung vor Ort und auf Notfalltransporte.
  • Erweiterung der Möglichkeiten des Rettungsdienstes, auf sich verändernde Anforderungen zu reagieren, etwa mit der Einführung von Einsatzmitteln zur Behandlung von akutmedizinischen Fragestellungen ohne Notwendigkeit des Transportes ("Gemeinde-Notfallsanitäter" für Akutmedizin im Rettungsdienst) oder zur Psychosozialen Notfallversorgung. Das umfasst auch die Anpassung der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung für Rettungsfachpersonal inklusive einer Teil-Akademisierung.
  • Standardisierte Datensätze und bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben für Rettungsdienst und Leitstellen mit Verpflichtung zur medienbruchfreien Daten- und Fallübergabe in alle Richtungen. Darstellung von Krankenhaus- und Rettungsdienst-Kapazitäten in Echtzeit und Schaffung eines Notfallregisters.
  • Einführung einer "Medizinischen Leitung Rettungsdienst" in den Rettungsdienstbereichen, die die Qualität lokal überwacht und Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -entwicklung einleitet und umsetzt.
  • Im Übrigen verweist die DGINA auf die Ausführungen der Regierungskommission und bereits veröffentlichte Kommentare der DGINA zum Rettungsdienst.

Information

  • Veröffentlicht: 25. Juni 2024

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